Muster- und Strukturenratebild, Oktober 2010
(Zur Auflösung und Erklärung bitte weiterlesen.)
Wie kommt diese merkwürdig faserige Wolkenformation in der Bildmitte zustande, die hier am späten Nachmittag eines sonnigen, aber nicht zu warmen Septembertages in Schottland hinter den Haufenwolken (Cumuluswolken) im Vordergrund (im Bild oben) den Himmel überziehen? Wenn mehrere Wolkenarten am Himmel zu sehen sind, ist es oft nicht ganz einfach, sie zu trennen und sich ihre Form räumlich vorzustellen. Mit etwas Abstand wird deutlicher, dass diese Fasern wie ein Vorhang von den Kondensstreifen von Flugzeugen herabzuhängen scheinen:
Detailaufnahmen zeigen ihre Struktur noch deutlicher:
Im letzten Bild wird langsam erkennbar, dass sie eine ganz ähnliche Häkchenform wie die bekannteren Federwolken (Cirruswolken) aufweisen, genauer gesagt wie deren Untertyp Cirrus fibratus (der lateinische Name bedeutet "faseriges Haarbüschel"). Nicht erstaunlich, denn tatsächlich sind Kondensstreifen letztlich künstliche Cirruswolken. Cirruswolken sind hohe Wolken, die sich in Höhen von 8 bis 10 Kilometern bilden. Aufgrund der tiefen Temperaturen in dieser Höhe bestehen sie aus Eiskristallen und sind generell relativ dünn und durchsichtig, da die kalte Höhenluft nur wenig Wasserdampf enthält. Die dicken Haufenwolken im Vordergrund dagegen bestehen aus Wassertropfen und befinden sich nur wenige hundert Meter über dem Boden – wieder einmal zeigt sich, wie schlecht wir Höhen und Entfernungen am Himmel einschätzen können!
Kondensstreifen entstehen aus dem Wasserdampf, der bei der Verbrennung in Triebwerken von Flugzeugen entsteht. Seine Konzentration ist so gering, dass er in tieferen Atmosphärenschichten nicht kondensiert und unsichtbar bleibt, doch in der Höhe wird die kalte Luft schnell übersättigt, und der Wasserdampf kondensiert – oft ebenfalls als Eiskristalle, ganz ähnlich wie bei natürlichen Cirruswolken.
Die wachsenden Eiskristalle beginnen langsam zu fallen, was als "Fallstreifen" sichtbar wird – so entstehen die faserigen "Schwänze" der Cirruswolken bzw. die schleierartigen Fasern, die in den obigen Bildern aus dem Kondensstreifen herabhängen. Die plättchenförmigen Eiskristalle fallen relativ langsam (man denke an Schneeflocken!), sodass sie in verschiedenen Höhen vom Wind unterschiedlich weit seitlich abgetrieben werden: Die Fasern bilden parallele Häkchenformen, was insbesondere im letzten Bild relativ gut erkennbar ist. Doch letztlich gelangen die Kristalle in tiefere, wärmere Luftschichten, die mehr Wasserdampf aufnehmen können, und die Fasern enden – die Dichte von Cirruswolken ist nicht hoch genug, als dass ihre Kristalle als Regen oder Schnee bis zum Boden gelangen könnten.
Natürliche Cirruswolken haben stets diese faserigen Strukturen; dagegen bilden sich derartige Fallstreifen-Schleier bei Kondensstreifen eher selten. Warum? Hier dürfte die Umgebungsluft eine Rolle spielen. Bei Kondensstreifen wird künstlich in einem kleinen Bereich viel Wasserdampf zugesetzt, der kondensiert, auch wenn die umgebende Luft an sich noch weit vom Sättigungspunkt entfernt ist. Sobald Eiskristalle oder Wassertropfen fallen, verlassen sie also den übersättigten Bereich und lösen sich wieder auf. Bei natürlichen Cirrus ist dagegen die Luft weiträumig gesättigt. Sehr lang bestehende Kondensstreifen mit Fallstreifen sieht man daher oft dann, wenn der Himmel ohnehin schon natürliche Cirruswolken bildet.
So weit zu den Wolkenschleiern. Zur Auflockerung jetzt noch zwei Sonnenuntergangsbilder vom selben Tag (Kondensstreifen rechts!):
Und, zum Abschluss, nach Einbruch der Dämmerung, noch etwas ganz anderes – denn nicht nur Wolken sind interessant:
Nebenbei: Im allerersten Bild ist am unteren Rand in der Mitte auch noch ein hellerer, etwas regenbogenartig erscheinender Fleck zu sehen. Das ist eine Nebensonne, die durch die Brechung und Reflexion des Sonnenlichts an den Eiskristallen entsteht. Die Kristalle – kleine, sechseckige Plättchen – richten sich beim Fallen horizontal aus. Durch diese Ausrichtung brechen sie das Licht nur in der horizontalen Ebene, und zwar um 22°, sodass sie zwei Lichtpunkte links und rechts der Sonne gerade im Abstand von 22° erzeugen – eben die Nebensonnen. Hier ist die linke Nebensonne zu sehen, die echte Sonne liegt rechts außerhalb des Bildes. Doch die Nebensonne habe ich beim Fotografieren gar nicht recht beachtet; sie ist nur zufällig auf dem Bild!