Als ich im Februar die Rheinwiesen besuchte, um nachzusehen, ob sich das Hochwasser schon zurückgezogen hatte, fand ich unter den Pappeln in Ufernähe dieses Gebilde, filiganer als geklöppelte Spitze: ein Pappelblatt, von dem fast nur noch die Blattadern übrig waren:
Wie geht ein solcher Abbau vor sich?
Auf einem weiteren Spaziergang habe ich weitere Pappelblätter eingesammelt, um sie zu Hause zu fotografieren und unter die Lupe zu legen. Hier sieht man, dass in einigen Feldern noch silbrige, im Licht des Monitors bläulich schimmernde Häutchen übrig geblieben sind:
Diese Häutchen sind entweder die Epidermis, also die äußere Zellschicht des Photosynthese betreibenden Gewebes, oder die Cuticula, also die Wachsschicht auf der Epidermis.
Die Spitzen und Ränder solcher Blätter sind oft noch weitgehend intakt:
Hier noch einmal die offenbar schlecht verdaulichen Zähnchen am Rand des Blattes:
Mit dem billigen Mikroskop, das ich auf mein Handy klemmen kann, habe ich mir die Unterschiede noch einmal aus der Nähe angesehen. Hier eine schon weitgehend abgebaute Region, in der nur noch die ligninreichen, also verholzten Blattadern übrig geblieben sind, in denen die Leitbündel verlaufen, mit denen im Frühjahr bis Herbst durch Photosynthese gewonnene Nährstoffe aus den Blättern abtransportiert wurden und im Gegenzug Wasser aus den Wurzeln angeliefert wurde:
Hier die weißen Häutchen, die den bislang aktiven Blattzersetzern offenbar nicht gemundet haben:
Und schließlich ein Zähnchen vom Blattrand, in dem noch viel Gewebe übrig ist:
Neben Pappelblättern habe ich auch Ahornflügel eingsammelt, mit denen die Nüsschen genannten Ahornsamen vom Winde verweht werden:
Auch hier muss zunächst das dünne Gewebe zwischen den Adern der Flügel dran glauben. Unter dem Mikroskop erkennt man, dass die feinsten Nebenadern nur wenige Zellen breit sind:
Und auch hier ist der Rand robuster als das Innere der Flügel - wohl zur mechanischen Stabilisierung beim Flug:
Der Flügelansatz umhüllt das Nüsschen, also den Samen (der hier fehlt). Das ist der Teil, den wir als Kinder aufgeklappt und auf unsere Nasen geklebt haben:
Wie aber geht der Abbau nun vonstatten? Ich folge hier der Erklärung aus Dietrich Böhlmanns gutem Buch "Warum Bäume nicht in den Himmel wachsen. Eine Einführung in das Leben unserer Gehölze" (Quelle & Meyer, 2009).
Im Herbst ist abgefallenes Laub oft noch so trocken, dass nur wenige Spezialisten von ihm fressen: Asseln, Tausendfüßler, Rüsselkäfer und Schnecken, aber auch bestimmte Holzmilben und Springschwänze. Die Löcher, die sie in die Blätter nagen, sind Einfalltore für Bakterien, Cyanobakterien, Piize, Kieselalgen, Amöben, Geißel- und Rädertierchen sowie Nematoden, die aber erst so richtig loslegen, wenn die Streu schön feucht ist. Weitere Hornmilben und Springschwänze kommen hinzu, die vor allem die Bakterienrasen fressen, aber auch etwas von den Blättern. Auch Raubmilben machen sich über die Mikroorganismen her. Sie alle scheiden nach der Verdauung Kot aus, der die Basis für den Humus bildet.
Im Winter kommt der Abbau bei Frost zum Erliegen. Im Frühjahr geht es weiter, und im Mai und Juni erreicht der Prozess seinen Höhepunkt. Danach sind nur noch skelettierte Blattreste übrig, wie ich sie hier fotografiert habe. Vermutlich stammen die Blätter also nicht aus dem Jahr 2019, sondern aus dem Jahr davor. Die ligninreichen Leitbündel können von den Organismen, die das zarte Gewebe der sogenannten Interkostalfelder (der Regionen zwischen den Blattadern) zersetzen, nicht verdaut werden. Diese Erstzersetzer, die sich nur von leicht aufschließbaren Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen ernähren, werden im Herbst, ein Jahr nach dem Fall des Blattes, von Folgezersetzern abgelöst und wandern eine Schicht nach oben zur neuen Blattstreu. Die Spezialisten des zweiten Jahres können auch Zellulose und Lignin abbauen.
Auch der Kot der Estzersetzer enthält noch verwertbare Nährstoffe, über die sich nun Borstenwürmer, Regenwürmer, Doppelfüßler, Asseln und Fliegenlarven hermachen. Am Ende bleibt bester Humus übrig, also der Kot all dieser Lebewesen, der von ihnen auch mit tiefer liegenden, mineralischen Bodenschichten vermischt wird, wenn sie sich abwechselnd in die Tiefe und an die Oberfläche begeben. In den tieferen Schichten ist der Boden auch so feucht, dass Mikroorganismen das restliche Material weiter abbauen können.
Wie lang der Prozess dauert, hängt wesentlich vom Kohlenstoff-Stickstoff-Verhältnis der Blätter ab. Holunder- und Haselblätter sind nach einem halben Jahr, im Frühling nach ihrem Fall, verschwunden. Ulme, Esche und Erle haben stickstoffärmeres Laub, das erst im Sommer abgebaut ist. Eichenlaub kann bis zu zwei Jahren brauchen, Buchenblätter drei, unter ungünstigen Umständen sogar sechs bis zehn Jahre, bis sie völlig verschwunden sind. Wer wäre nicht schon einmal durch einen Buchenwald gestiefelt und knöcheltief in den Blätterteppich eingesunken? Jetzt wisst ihr, wieso: Buchenlaub ist sehr nährstoffarm.
Da fällt mir ein, dass ich mir ja eine Wurmkiste zulegen wollte, um Gemüseabfälle zu kompostieren und die ausgelaugte Balkongartenerde nicht immer wegwerfen zu müssen. Ich werde berichten, wie gut die Humusproduktion klappt!