Regelrecht peinlich kann es sein, wenn man im fortgeschrittenen Alter plötzlich auf ein weit verbreitetes, keineswegs neues Naturphänomen und dessen offenbar allgemein bekannte Erklärung aufmerksam wird: Wo hatte man nur in den letzten x-und-vierzig Frühjahren seine Augen, als die Rosskastanien (Aesculum hippocastanum) blühten?
Habe ich tatsächlich noch nie bemerkt, dass das Innere der weißen (bei einigen Bäumen auch rosaroten) Blüten an den markanten Blütenkerzen unterschiedlich gefärbt ist, nämlich teils gelb, teils rot? Oder habe ich es mal gewusst und vollständig wieder vergessen? Diesen Mai fiel es mir bei einer Wanderung im Ahrtal jedenfalls auf, und anschließende Recherchen ergaben Folgendes:
- Die bunten Flecken in der Mitte der Blüte werden als Saftmale bezeichnet. Sie signalisieren den Insekten, vornehmlich Bienen und Hummeln, die Rosskastanienblüten befruchten, dass es hier Nektar ("Saft") zu naschen gibt.
- Genau genommen gibt nur das gelbe Saftmal einer neuen, jungfräulichen Blüte den Insekten dieses Signal. Sobald eine Biene oder Hummel die Blüte besucht, vom Nektar genascht und mit dem Pollen von ihrem Haarkleid die Narbe des Fruchtblatts bestäubt hat, findet die Befruchtung der Samenanlage statt; die Nektarproduktion wird eingestellt, und die Kastanienampel springt auf rot um. Das Saftmal wird pink oder magentafarben, um den Insekten vergebliche Anflüge zu ersparen und damit die Bestäubungschancen der übrigen Blüten desselben Baums zu erhöhen.
- Diese Umfärbung setzt bereits etwa einen Tag nach der Bestäubung ein. Später welken die Blüten. Wenn man einmal die abgefallenen Blütenkelche unter einem Kastanienbaum betrachtet, sieht man tatsächlich fast nur rote Saftmale.