Im Frühjahr war ich oft in den nördlichen Kölner Rheinauen unterwegs, etwa am Molenkopf zwischen dem Niehler Hafen und dem Fluss. Hier, am Rheinkilometer 695, wachsen neben Pappeln viele Silber-Weiden - so genannt wegen der silbrig schimmernden Unterseite ihrer lanzettförmigen Blätter, wie rechts im Bildvordergrund zu sehen:
In drei Artikeln möchte ich euch diese Bäume, ihre Bewohner und Besucher im Allgemeinen sowie einen Weiden-Plagegeist im Besonderen vorstellen. Fangen wir mit der Silber-Weide (Salix alba) an: Was zeichnet sie aus, was braucht sie, wie prägt sie ihre Umgebung?
Auch dieses zweite Fotos zeigt den Farbunterschied zwischen den sattgrünen Blattoberflächen und den aufgrund ihrer Behaarung silbrig oder weißlich ("alba") wirkenden Blattunterseiten, den wir schon vom Silber-Ahorn kennen, der aus demselben Grunde so getauft wurde.
Sowohl Pappeln als auch die mit ihnen verwandten Weiden sind Pionierbäume: Sie besiedeln Flächen wie den ab und zu überschwemmten Uferbereich von Flüssen, jagen als Erstes Wurzeln ins Sediment, um sich gegen die Strömung zu wappnen, wachsen dann in den ersten Jahren sehr schnell, da sie viel Licht brauchen und daher die Konkurrenz ausstechen müssen, und werden dafür nicht besonders alt. Silber-Weiden erreichen vielleicht 80 Jahre, dann brechen die Stämme mit ihrem relativ weichen Holz auseinander, oder sie werden von Pilzen attackiert, oder die Konkurrenz überflügelt und beschattet sie, sodass sie eingehen.
In dieser Lebensspanne können ihre Stämme aber einen beeindruckenden Umfang erreichen, wie der Vergleich mit dem (zugegebenermaßen ziemlich kleinen) Faltrad zeigt.
Was das vorige Bild ebenfalls zeigt: Die Weiden am Molenkopf wachsen auf Sand. Genau genommen stehen sie an einer Abbruchkante zwischen dem sehr häufig überspülten Fluss-Strand und den Wiesen dahinter, die zwar auch regelmäßig vom Hochwasser bedeckt werden, aber immerhin Gräsern und Kräutern gute Lebensbedingungen bieten und eine gewisse Humusschicht haben. Die Weiden bremsen mit ihren kräftigen Wurzeln die Erosion dieser Abbruchkante, können sie aber nicht völlig verhindern, sodass einige inzwischen auf Stelzen stehen und mit ihren Horizontalwurzeln wie Piers wirken, die am Ufer aufgereiht sind:
Damit haben wir alle Elemente aus dieser Illustration von Kenneth Grahames berühmtem Kinderbuch "Der Wind in den Weiden" zusammen: die lanzettlichen Blätter, die im Wind rauschen, das nahe Flusswasser, die freigelegten Wurzeln und schließlich die sandige Abbruchkante, die vom Wasser teilweise ausgespült ist und damit Tieren Unterschlupf bietet:
Auch am Molenkopf haben bereits einige Weiden den Kampf gegen das Wasser und den Kontakt zur Wiese verloren. Aber so leicht gibt eine Weide nicht auf - selbst wenn sie längst "gefällt" wurde und nur noch auf zwei Beinen steht:
Am anderen, rechten Rheinufer, etwas südlicher, nämlich direkt unter der Zoobrücke, habe ich noch so einen Überlebenskünstler gefunden:
Die Anordnung der Wurzeln zeigt eindeutig, in welche Richtung der Rhein fließt: von links nach rechts. Und aus dem abgesägten Stumpf schlagen jedes Frühjahr neue Triebe aus. Neben der Vermehrung über ihre Samen ist die sogenannte vegetative Vermehrung über Äste, die das Hochwasser abreißt und irgendwo flussabwärts am Ufer zurücklässt, ganz typisch für Weiden, ebenso wie die Verjüngung vor Ort.
Wie weit das letzte Hochwasser gereicht hat, erkennt man oft noch am Schwemmgut, das sich in den Zweigen verfangen hat und das Niveau der Wiese jenseits der Abbruchkante weit überragt:
Auch an anderer Stelle im Kölner Norden, nämlich in einem Gebiet ehemaliger Baggerseen zwischen Weidenpesch und Longerich, kann man alten Weiden beim Sterben zusehen. Vielleicht ist hier der Grundwasserspiegel in den letzten Jahren aufgrund des Niederschlagsmangels gesunken, oder es war einfach an der Zeit. Aber auch hier wehrt sich der Baum: Während die rechte Hälfte längst kahl und entrindet ist und links einer der letzten Stürme Tribut gefordert hat, ist ein letzter Hauptast noch einmal ergrünt - und sei es nur, um Samen zu bilden, die anderswo ihr Glück versuchen können:
Silber-Weiden sind zweihäusig, das heißt, männliche und weibliche Blüten bilden sich an unterschiedlichen Individuen. Daher sieht man im Mai und Juni auch nicht an jedem Exemplar die flaumigen Samenstände, denn sie entstehen nur auf den weiblichen Weiden aus den befruchteten Blüten:
Hier ein reifer Samenstand aus der Nähe, nach einem Regenschauer, der die Samenwolle befeuchtet hat:
Eine Bodenwanze nutzt die Gelegenheit, einige der winzigen Samen zu vertilgen, bevor der Wind die Samenwolle trocknet und die Samen davonträgt. Viele werden auf ungeeignetem, bereits bewachsenem Terrain oder im Wasser landen. Aber diejenigen, die nach der Landung feuchten Sand unter sich spüren, werden sofort keimen und möglichst schnell Wurzeln schlagen, bevor die Feuchtigkeit womöglich verdunstet. Und so entsteht die nächste Generation von Weiden, deren Blätter im Wind rascheln und wie kleine Fische ihre Silberbäuche zeigen.