Im Herbst halte ich es wie die Maus Frederick und sammle Farben für den Winter - beim Spazierengehen. Vor einigen Tagen fiel mir auf, dass viele der teils bunten, teils bereits braunen Spitzahornblätter auf dem Boden fast kristallin anmutende weißliche Flecken tragen, oft auf den dicksten Blattadern. Durch deren regelmäßige Verzweigung entsteht der Eindruck von Eiskristallen. Woraus bestehen die Flecken, und warum die Vorliebe für die Blattadern?
Oben links sehen wir die Ahornsamen, darüber ein gelbes Pappelblatt, daneben ein weiteres weiß geflecktes Spitzahornblatt. Und hier die Oberseite des Spitzahornblattes vom Eingangsbild noch einmal zur Gänze - wir werden später noch die Unterseite betrachten:
Die weißen Flecken können auch isoliert auftreten wie hier auf dem rechten, von außen nach innen dunkelgrünbraun, rot, orange und gelb gefärbten Blatt. Aber auch dann sitzen sie meist auf den Blattadern. Im hellbraunen Blatt links daneben ist die Orientierung an diesen Stütz- und Leitstrukturen der Blätter noch deutlicher:
Es handelt sich um den Echten Mehltau (Familie Erysiphaceae), einen Schlauchpilz. Ihn und seine Verwandten habe ich dieses Jahr sehr oft gesehen, leider auch auf meinen Balkonkräutern, -blumen und -kürbissen. Im Unterschied zum sogenannten Falschen Mehltau, der vor allem an Blattunterseiten wächst und nasswarmes Wetter bevorzugt, besiedelt Echter Mehltau die Blattoberseiten und kommt bestens mit trockenen Sommern zurecht - was erklärt, warum er 2022 mein ständiger Begleiter war.
Warum aber orientiert er sich auf dem Ahorn an den Blattadern? Mir fielen zwei Möglichkeiten ein: Entweder kann er dort mit seinen als Haustorien bezeichneten "Rüsseln" besonders leicht in das Blatt eindringen, um den Zellen Nährstoffe abzuzapfen. Oder das Nahrungsangebot ist dort - besonders im Herbst nach dem Laubfall - noch besonders gut, im Unterschied zum Rest der Blattspreite, aus der der Baum Nährstoffe und Chlorophyll vor dem Laubfall bereits abgezogen hat. Das folgende Bild deutet darauf hin, denn in diesen Blatt, das noch hängt, sind nur noch die adernahen Bereiche sattgrün:
Pilze, die Pflanzen infizieren, unterteilt man grob in zwei Formen: nekrotrophe Arten, die von totem Material leben (und oftmals gezielt Zellen töten, um an ihre Nahrung zu kommen) und biotrophe Arten, die auf lebende Wirtszellen angewiesen sind, aus denen sie sozusagen im laufenden Betrieb Zucker abzweigen, den die Pflanzen in ihren grünen Blättern durch Photosynthese aus Kohlendioxid und Wasser erzeugen. Die Arten, die Echten Mehltau hervorrufen, sind biotroph: Sie sind darauf angewiesen, dass die Wirtszellen leben und fleißig Zucker produzieren. Daher befallen sie auch grünes Laub, das noch am Baum hängt - so wie dieses Ahornblatt mit seinen seltsamen Kratzspuren auf der Oberfläche. Obwohl die schützende Wachsschicht auf dem Blatt an den vermutlich durch Reibung bei Wind hervorgerufenen Kratzern abgerieben sein dürfte, hat sich der Schlauchpilz wieder an den Adern orientiert, statt diese Einfalltstore zu nutzen:
Unter guten Bedingungen kann er die ganze Blattspreite besiedeln, wobei er das Blatt aber nicht so stark schädigt, dass es vorzeitig abgeworfen wird:
Aber auch hier ging die Besiedlung eindeutig von den Blattadern aus. Der Grund ist mir immer noch nicht ganz klar; ich habe dazu auf die Schnelle keine Aussagen in der Literatur gefunden. Aber ich vermute nach wie vor, dass der Pilz hier leichter, kontinuierlicher oder länger Zucker abzapfen kann als auf dem Rest der Blattspreite.
Als ich das Blatt vom Eingangsbild umdrehte, bot sich mir folgendes Bild:
Genau dort, wo auf der Oberseite weiße Flecken sind, sehen wir hier grüne Flecken, umgeben von gelber Wüste. Das Phänomen wurde auch bei weiteren Pilzen und bei ganz anderen Pflanzenpathogenen und -parasiten beobachtet, etwa Viren oder Insektengallen. Die Fachliteratur spricht von "green islands". Biotrophe Organismen manipulieren den Stoffwechsel der Wirtszellen in ihrer Nähe, um im Herbst den Abbau des Chlorophylls zu bremsen. So verlängern sie die Zeit, in der sie Zucker klauen und diesen in die eigene Vermehrung investieren können.
Es ist das Pflanzenhormon Cytokinin, das den Chlorophyllabbau verhindert und damit die Photosynthese in den Flecken weiterlaufen lässt, während sich der Baum überall sonst schon winterfest macht. Manche biotrophen Organismen produzieren das Hormon offenbar selbst, andere greifen in die Hormonproduktionsketten der Wirtszellen ein, die daraufhin mehr Cytokinin herstellen.
Nach all den Spitzahornblättern möchte ich noch ein Bergahornblatt zeigen, bei dem ein anderer Pilz auf ganz ähnliche Weise dafür sorgt, dass er im Herbst noch Zucker abbekommt und damit Sporen produzieren kann:
Bei den braunen Flecken, die von den "grünen Atollen" umgeben sind, dürfte es sich um den Ahornrunzelschorf handeln, den ich dieses Jahr ebenfalls sehr oft gesehen habe. Hier zum Abschluss eine Detailaufnahme aus dem Sommer:
Man erkennt die fast schwarzen, runden Fruchtkörper des Pilzes, die von braunen Hyphen umgeben sind. Zusammen bilden sie sogenannte Teerflecken, die von gelbem, offenbar bereits geschädigtem Blattgewebe umgeben sind. Nur die "grünen Atolle" gibt es noch nicht, da im Sommer noch überall genug Chlorophyll in den Zellen ist, um Photosynthese zu betreiben und den Baum, aber auch den Pilz mit Zucker zu versorgen. Die ganze Raffinesse der Schlauchpilze tritt also erst jetzt, im Spätherbst, zutage!