Wer hat diesen armen Baum so malträtiert? Das nächste Foto zeigt einen größeren Ausschnitt, auf dem ein wichtiges Indiz sichtbar wird:
Der Stamm des jungen Baums ist rings um die Löcher und unterhalb der Verletzungen feucht; ganz oben aber sehen wir trockene Rinde. Ganz ähnlich das Bild, das ein weiterer Baum in der Nachbarschaft abgibt:
Auch hier ist der Baumsaft aus den Wunden zwar in alle Richtungen in die Rinde eingezogen, vor allem aber nach unten gelaufen - bis zum Boden:
Und noch ein drittes Exemplar mit diesen regelmäßig zur Reihe angeordneten, kleinen Löchern, die durch Rinde und Kambium bis ins helle Holz reichen:
Auch dieser Baum hat ordentlich "geblutet", und sein direkter Nachbar hat offenbar ebenfalls zwei einzelne Löcher, aus denen Baumsaft austritt:
Das Phänomen tritt nicht nur örtlich gehäuft auf, in diesem Fall in einem kleinen Baumbestand zwischen der Inneren Kanalstraße und dem Fort X im Kölner Norden. Es scheint sich auch zeitlich zu wiederholen. Denn oberhalb der Reihe neuer Wunden erkennen wir einige Narben, die ebenfalls horizontal angeordnet sind. Dieser Baum wurde also mindestens zweimal heimgesucht:
Die Wunden sind noch ganz frisch, wie man auch an den Sickerspuren erkennt:
Nicht immer bilden die Löcher Reihen; hier blieb es bei einer einzigen Verletzung:
Auch hier gibt es nur eine kleine frische Wunde, aber unterhalb sehen wir wieder vernarbtes Gewebe, einen Wulst mit langgestreckten, nicht mehr nässenden Löchern aus einem vergangenen Jahr:
Und diese drei Scharten links neben dem augenförmigen Astloch halte ich ebenfalls für derartige Narben :
Alle Opfer dieses "Baumfrevels" haben ungefähr denselben Stammdurchmesser, vielleicht 15 bis 20 Zentimeter. Und alle sind sie Bergahorne, wie der Blick in die Kronen zeigt, in denen immer noch vereinzelt Samen aus dem Vorjahr hängen:
Hier sehen wir - ungefähr in der Bildmitte - die Tatwaffe:
Es ist der spitze Schnabel eines Spechts, genauer eines Buntspechts. Hier hackt er zwar gerade nicht, aber er treibt sich in unmittelbarer Nähe zu den angehackten Bäumen in der Krone eines weiteren Ahorns herum, vermutlich auf Futtersuche:
Sobald im Spätwinter oder Vorfrühjahr der zuckerhaltige Saft der jungen Ahorne aus den Wurzeln aufzusteigen beginnt, um das Knospen vorzubereiten, bedienen sich die durstigen Spechte an dieser Köstlichkeit. Sie verletzen die Bäume und lecken mit ihren langen Zungen die austretende Flüssigkeit auf. Das Phänomen hat sogar Eingang in unsere Umgangssprache gefunden: Dass man Trinker auch als Schluckspechte bezeichnet, geht auf dieses Verhalten zurück.
Ein gesunder Baum verkraftet die Verletzungen und Verluste - sogar wenn die Spechte sich über mehrere Jahre hinweg immer wieder bedienen. Sobald der Ahorn eine gewisse Dicke erreicht und seine bis dahin glatte, dünne Rinde dicker und schuppig wird, lassen ihn die Vögel ohnehin in Ruhe.
Allerdings können aus den Wunden Frostrisse im Holz werden, wenn auf eine etwas wärmere Phase noch einmal kräftiger Frost folgt. Da ich die Löcherreihen im Januar gesehen habe, kann das durchaus noch passieren.
Außerdem können durch die Wunden auch Pathogene wie Pilze eindringen. In den letzten Jahren hat sich im Gefolge des Klimawandels die Rußrindenkrankheit immer weiter nach Norden ausgebreitet, eine Pilzerkrankung, die durch Hitze und Trockenheit begünstigt wird und einen bis dahin gesunden Ahorn in wenigen Jahren umbringen kann. Auch in Köln müssen mittlerweile jährlich Bergahorne gefällt und sicher entsorgt werden, da die Sporen aus den rußartigen Sporenlagern lungenschädigend sind. Das können wir aber nicht den Schluckspechten ankreiden: Das haben wir selbst verbockt.