Uns interessiert das Tal im Hintergrund dieser Winterlandschaft.
Anfang Dezember war ich eingeladen, in Cromarty, einem Ort auf der Black Isle nördlich von Inverness, einen Vortrag mit Diskussionsrunde über Muster in der Natur zu halten. Die Rückfahrt nutzte ich für eine Wanderung im Cairngorm National Park, wo auch dieses Bild entstand. Dieses Tal, das nördliche Ende von Lairig Ghru (Gälisch: Làirig Dhrù, gesprochen "Laarig Gru"), hat eine auffällige U-Form, während viele Bergtäler in Deutschland eher v-förmig sind. Der Grund für diesen Unterschied ist die Entstehung: V-förmige Täler werden im Allgemeinen durch Wasserläufe geformt, während u-förmige "Trogtäler" eine glaziale Landschaftsform, also ein Zeichen für (vergangene) Gletscher sind. In der Eiszeit lag Schottland unter einem Eisschild, der sich von Irland über die Nordsee und Fennoskandien bis nach Westsibirien erstreckte; die schottischen Highlands wurden als eine der letzten Regionen Europas vor etwa 15 000 Jahren eisfrei, doch in einer kürzeren Kaltzeit vor etwa 12 500 Jahren ("Loch-Lomond-Stadial") bildeten sich nochmals Gletscher in den Cairngorms.
Gletscher füllen ein Tal bis zu einer gewissen Höhe aus; hier ist ein heutiges Beispiel aus Island (siehe auch das Muster des Monats, 03/2012):
Daher erodieren Gletscher das Tal sowohl an ihrer Basis als auch an den Seiten, was zur trogförmigen Ausschabung führt. Flüsse dagegen haben einen viel kleineren Querschnitt, sie liegen im Talgrund und erodieren auch nur dort direkt. Gelegentlich werden dann die Hänge instabil und es kommt zu Hangrutschen. Dies geschieht gewöhnlich erst, wenn der Hang steil genug ist, wenn also seine Neigung einen bestimmten Winkel, den Schuttwinkel, übersteigt; durch diesen Mechanismus entstehen Täler mit Hängen in einem konstanten Winkel, also v-förmige Täler.
Trogtäler sind es auch, die der Landschaft Norwegens ihren Charakter verleihen. Da der globale Meeresspiegel seit der Eiszeit um über hundert Meter gestiegen ist, liegen viele Trogtäler an der norwegischen Küste nun teils unter Wasser und bilden die berühmten Fjorde, und man sieht nur noch die Flanken des oberen Talbereichs steil aus dem Meer aufragen, wie hier in Reine, einer Ortschaft am äußersten Ausläufer der Lofoten, wo ich vor einigen Jahren versehentlich war, weil ich in Bodø den richtigen Bus (nach Narvik) verpasst hatte und dann nur noch die Fähre in eine ganz andere Richtung (eben zu den Lofoten) ging:
Der Vortrag in Cromarty fand übrigens im Geburtshaus von Hugh Miller statt, das heute ein Museum ist. Hugh Miller (1802-1856) war eine jener fantastisch interessanten Persönlichkeiten, die heute viel zu sehr in Vergessenheit geraten sind. Er lernte ursprünglich als Steinmetz, bildete sich dann autodidaktisch zum Geologen und Paläontologen weiter und veröffentlichte wichtige Werke über die Geologie Schottlands und die Fischfossilien des Devons, in denen er darlegte, dass im Laufe der langen Erdgeschichte immer wieder neue Arten entstanden und ausstarben. Er kommunizierte eifrig mit Charles Darwin, konnte sich aber trotz seiner Fossilforschungen nicht mit der Evolutionstheorie anfreunden - wohl wegen seines Glaubens. Denn er war evangelikaler Christ und, obwohl persönlich eher schüchtern und zurückhaltend, durch Artikel in der von ihm 1840 gegründeten und praktisch alleine verfassten Zeitung "The Witness" eifrig in den damaligen Kirchenstreit verwickelt, der letztlich zur Spaltung der schottischen Kirche und der Gründung der Free Church of Scotland (1843) führte. Gleichzeitig kämpfte er für soziale Reformen: Cromarty, heute ein kleiner, unbedeutender Küstenort, war damals ein wichtiger Hafen, durch den jährlich Tausende von Auswanderern das Land verließen, die durch soziale Umwälzungen verarmt waren. Nebenher veröffentlichte er Sammlungen von schottischen Märchen und Erzählungen. 1856 beging er Selbstmord, wohl weil er unter Halluzinationen litt und Angst davor hatte, seinen Verstand zu verlieren.