Muster- und Strukturenratebild, Juli 2009
(Zur Auflösung und Erklärung bitte weiterlesen.)
Die Oberfläche dieses Gesteins, das an der Küste Schottlands bei Siccar Point (etwa 60 km östlich von Edinburgh) ansteht, ist von einem Netz von zentimeterdicken Wülsten überzogen. Das Gestein ähnelt auf den ersten Blick einem Sandstein, und das Wulstnetz zieht sich über die gesamte Fläche des Aufschlusses, der sich aus dem Meer bis ins Supralitoral erstreckt, also in den Bereich über der eigentlichen Gezeitenzone, der bei Springflut oder bei hohem Wellengang noch vom Wasser erreicht wird.
Wie entstand nun dieses eigentümliche Netz von Wülsten auf der Oberfläche? Man entdeckt bald, dass die Löcher zwischen den Wülsten gelegentlich von passenden Steinen ausgefüllt sind:
Diese Steine haben sich nicht erst im Wulstnetz verfangen, wie ein Begleiter vermutete, sondern sind Teil des ursprünglichen Gesteins. Tatsächlich handelt es sich nämlich nicht um einen Sandstein, sondern um eine Brekzie: ein Sedimentgestein, das aus unregelmäßig geformten Gesteinsbruchstücken unterschiedlicher Größe ("unsortiert") in einer feinkörnigen Grundmasse besteht. Der bekanntere "Bruder" der Brekzie, das Konglomerat, ist ähnlich aufgebaut, doch sind beim Konglomerat die Bruchstücke gerundet und nicht scharfkantig. Beide Gesteinsarten sind Sedimentgesteine, die entstehen, wenn sich grobkörniges Geröll (etwa in einem Flussbett) verfestigt, indem eindringender Kalk oder Sand ein Bindemittel aus Kalk- bzw. Sandstein bildet. Wenn das ursprüngliche Geröll vor seiner Verfestigung vom Wasser weit transportiert wurde und entsprechend gerundet ist, liegt ein Konglomerat vor; dagegen zeigen die scharfkantigen Körner einer Brekzie, dass kein weiter Transport stattgefunden hat, sie entstehen z. B. aus dem Geröll von Hangrutschen oder ähnlichen plötzlichen Ereignissen.
In Fall unseres "Wulstmusters" hat das Meer die anstehende Brekzie erodiert. Dabei wurden die eingelagerten Geröllbruchstücke an der Oberfläche freigelegt und haben sich irgendwann gelöst, sodass die harte Matrix aus Sandstein als System von Gesteinswülsten übrig blieb.
Dieser Gesteinsaufschluss bei Siccar Point ist übrigens geologisch und wissenschaftsgeschichtlich sehr interessant. Denn er ist eine der wichtigsten Lokalitäten, die dem schottischen Naturforscher James Hutton (1726-1797) die Ausarbeitung der geologischen Grundprinzipien ermöglichten – Hutton gilt als Begründer der modernen, wissenschaftlichen Geologie und Stratigrafie. Denn an dieser Stelle ist schon auf den ersten Blick erkennbar, dass verschiedene Gesteinsschichten in einem Winkel ("diskordant") aufeinandertreffen:
Im Hangenden (Geologensprech für "oberhalb", hier in der Bildmitte) sehen wir wieder unsere Brekzie, die mehr oder weniger flach gelagert ist. Im Liegenden (d. h. "unterhalb") befindet sich dagegen eine andere Gesteinsart: eine Grauwacke, bei der die Gesteinsschichten fast senkrecht gelagert sind. (Diese Gesteinsschicht taucht im Hintergrund am Hang der Klippe wieder auf.) Die Grenze, an der die Gesteine in einem Winkel aufeinandertreffen, stellt also eine "Winkeldiskordanz" dar. Hier ein weiteres Bild der Diskordanz:
Beim Anblick dieser heute "Hutton-Diskordanz" ("Hutton's Unconformity") genannten Schichtgrenze war Hutton und seinem Freund John Playfair (1748-1819) sehr klar, dass zu ihrer Entstehung viele geologische Prozesse beigetragen haben mussten.
Zunächst wurden die Grauwacken abgelagert, und zwar in der Epoche des Unteren Silur (vor etwa 425 Mio. Jahren) in einem Tiefseegraben. Dann wurden die Schichten geneigt und fast senkrecht gestellt – wie wir heute wissen, geschah dies, als in diesem Tiefseegraben die ozeanische Kruste unter die kontinentale geschoben ("subduziert") wurde. Im Laufe der Jahrmillionen wurde das Gestein gehoben, bis es im Oberen Devon (vor etwa 345 Mio. Jahren) an die Oberfläche gelangte und durch Erosion freigelegt wurde. Es lag damals wohl in einer flachen Küstenlandschaft mit trockenem Klima, die gelegentlichen Überschwemmungen ausgesetzt war. Bei Sturzfluten in Wadis sammelten sich die Erosionsbruchstücke der Grauwacke – sie bildeten später die Brekzie. Überdeckt wurde das Ganze von geschichteten Sandsteinen, den "Old Red Sandstones", die immer wieder von Brekzienschichten unterbrochen sind.
Auch wenn James Hutton noch nichts von Subduktionszonen (einem Konzept der modernen Plattentektonik) wusste, nicht über absolute Datierungsmethoden verfügte und manche Details nicht kannte, waren ihm und seinen Begleitern doch die grundlegenden geologischen Prozesse sehr klar. Und ihnen war bewusst, dass die komplexe Entstehung der Diskordanz nicht nur ein paar Jahrtausende, sondern eher Jahrmillionen in Anspruch genommen haben musste – die Erde musste also sehr alt sein!
Dr. Hutton war hocherfreut über diese Erscheinungen, wie Playfair berichtete: "Dr. Hutton was highly pleased with appearances that set in so clear a light the different formations of the parts which compose the exterior crust of the earth, and where all the circumstances were combined that could render the observation satisfactory and precise." (Zitiert nach Dennis R. Dean, "James Hutton", Cornell University Press, 1992)