Wer hat derartige Streifenstrukturen nicht schon einmal gesehen?
Sandstein ist ein beliebter Baustein, weil er relativ leicht zu bearbeiten ist. Diese Fotos entstanden in Roslin Castle, einer Burgruine wenige Kilometer südlich von Edinburgh.
Wenn Sandstein verwittert, entstehen oft vielfältige Oberflächenstrukturen:
Wie entstehen diese Erhebungen und Grate? Sandstein ist ein Sedimentgestein; er entsteht aus Sand, der sich im Meer, in Flüssen oder auch an Land in Dünen oder Wüsten abgelagert hat. Dies geschieht nicht gleichmäßig. So transportieren Flüsse beispielsweise im Frühjahr mit der Schneeschmelze mehr grobes Material als zu anderen Jahreszeiten, sodass jahreszeitliche Schichten entstehen. Sturzfluten, Gezeitenströme an Sandstränden, Dünenwanderungen oder Sandstürme in Wüsten führen ebenfalls zu deutlichen Ablagerungsschichten. An einem der wenig verwitterten Stein kann man die dadurch entstandene Schichtung gut erkennen:
Auffällig sind die helleren und dunkleren Schichten unterschiedlicher Korngrößen und Zusammensetzung. Zudem zeigt dieser Stein eine Kreuzschichtung: Die Schichten in der unteren Hälfte des Steines liegen fast waagrecht, in der oberen Hälfte dagegen geneigt; die Grenze dazwischen (waagrecht in der Mitte des Steins) nennt man eine Diskontinuität. Kreuzschichtung entsteht, wenn sich die Ablagerungsverhältnisse mit der Zeit ändern. Man kann das mit einem Spielzeug nachvollziehen, das in vielen wissenschaftlichen Museumsshops zu kaufen ist:
Zwischen zwei Glasplatten befindet sich eine Sandmischung aus Körnern unterschiedlicher Größe und Farbe in einer Flüssigkeit. Wenn man den Rahmen umdreht, sinken die verschieden großen Körner unterschiedlich schnell und lagern sich am Boden in getrennten Schichten ab. Im Wesentlichen dasselbe passiert auch bei der Ablagerung von Sandsteinen. Auch eine Kreuzschichtung lässt sich erkennen, nachdem ich den Rahmen ein paarmal seitlich gekippt habe, um die Ablagerungsrichtung zu variieren:
Die so abgelagerten Schichten des Sandsteins sind oft unterschiedlich hart, da sie unterschiedliches Material in unterschiedlichen Korngrößen enthalten. Bei der Verwitterung werden nun die weicheren Bereiche stärker entfernt, sodass die härteren Bereiche als Erhebungen, Grate und Leisten auf der Oberfläche übrig bleiben.
Roslin Castle war der Sitz des Clans Sinclair (auch "St. Clair"; die Familie stammte möglicherweise aus der Normandie). Seine Mitglieder waren im späten Mittelalter bedeutende Freimaurer und Tempelritter. Berühmt ist die Familie für die Rosslyn-Kapelle, die William Sinclair in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahe der Burg erbauen ließ:
Die Kapelle fasziniert durch ihre detailreiche Ausgestaltung voller Freimaurer- und Tempelrittersymbolik. Weltberühmt wurde sie durch den Roman "Sakrileg" des Bestsellerautors Dan Brown, dessen Verfilmung "The Da Vinci Code - Sakrileg" (2006) ebenfalls teils in der Kapelle und der Burg von Roslin/Rosslyn gedreht wurden.
Seit Erscheinen des Films herrscht in der kleine Kapelle meistens dichtes Gedränge von Touristen; ich erinnere mich jedoch gut an die Zeit vor zehn Jahren, als man dort meistens ganz alleine war. Heute ist auch das Fotografieren im Inneren nicht mehr erlaubt (und die Wächter passen sehr gut auf!), sodass ich hier auf Skulpturen und Reliefs von Grünen Männern, Totentänzen und Gefallenen Engeln verzichten muss, ebenso auf die Darstellungen angeblicher Maiskolben und Kakteen, die laut Andrew Sinclair, einem heutigen Clanmitglied, zeigen, dass seine Vorfahren lange vor Kolumbus Amerika erreicht haben. Mir erschienen sie leider eher wie stilisierte unspezifische Pflanzensymbole, und auch die übrigen Argumente in Sinclairs Büchern über den Heiligen Gral und die Amerikafahrten seiner Familie sind sehr spekulativ und beruhen auf wenig überzeugenden Assoziationen und Andeutungen.
Aber auch ohne den Heiligen Gral ist Rosslyn ein Ort, an dem bei jedem Besuch etwas Neues zu entdecken ist - Freimaurersymbole ebenso wie natürliche Strukturen!