Dieses Arrangement von Hülsenfrüchten und Nacktgerste (ja, die heißt wirklich so!) ist selbstverständlich keine natürliche Struktur, deren Entstehungsmechanismen es zu erraten gilt: Ich habe sie halt nach und nach ins Glas gefüllt, um demnächst eine herzhafte italienische Suppe daraus zuzubereiten. Der Abwechslung halber drehe ich den in dieser Kolumne üblichen Ablauf einmal um und frage: Was passiert als Nächstes, wenn ich das Glas schüttle?
Die Inspiration zu diesem "Muster des Monats" war übrigens eine Tüte Studentenfutter, die wir auf unserer letzten Wanderung geöffnet haben, um uns zu stärken. Wie so oft hatten wir erst mal fast nur Walnusshälften, Haselnüsse und Cashewkerne in der Hand, während die Rosinen sich rar machten. Später gab es dann Rosinen satt, aber kaum noch Nusskerne. Diese Selbstsortierung von Gemischen ungleich großer Partikel ist in der Physik als Paranuss-Effekt (englisch: brazil nut effect oder granular segregation) bekannt und ist auch in Müsli-Mischungen zu beobachten.
Nach drei einer Barfrau würdigen Schüttelstößen hatten größere Cluster von Nacktgerste und rote Linsen den Platz getauscht, und die Gerstenkörner hatten sich wie Fische ihn einem engen Schwarm parallel ausgerichtet. Die unteren Ränge aus halben Erbsen, Berglinsen und weißen Riesenbohnen blieben noch weitgehend unter sich, hatten sich aber untereinander vermischt.
Nach erneutem kurzem Schütteln wirkte alles gut durchmischt:
Allerdings hatten sich an der Oberfläche verdächtgi viele weiße Bohnen angesammelt:
Einige weitere Schüttelstöße später nahmen die Bohnen fast die ganze Oberfläche ein:
Hier der Boden des Glases. Einige Bohnen haben dem Sog an die Oberfläche offenbar widerstanden:
Der Paranuss-Effekt ist schon lange bekannt, aber die Mechanismen waren und sind umstritten. Sie hängen unter anderem vom spezifischen Gewicht ab, von der Reibung am Rand des Gefäßes und von der Verschieblichkeit der Partikel gegeneinander, die zum Beispiel durch Nässe verringert werden kann. Es gibt auch Situationen, in denen das Gegenteil passiert, sich die größten Partikel also am Boden ansammeln.
In trockenem Müsli, Studentenfutterpackungen und dieser Suppenmischung dürften vor allem zwei Effekte vorherrschen: Gelangt ein großes Objekt (hier eine Riesenbohne) durch das Rütteln zufällig ein Stück nach oben, entsteht unter ihm ein Hohlraum, in den kleinere Partikel nachrutschen - und so weiter und so fort. Und da sich viele feste Partikel zusammen oft wie eine Flüssigkeit verhalten, kann es im Glas zu einer Konvektionsströmung kommen: In der Mitte steigt die "Flüssigkeit" auf, und am Rand sinkt sie in einer schmalen Schicht wieder ab. Diese Randschicht ist aber so dünn, dass sie keine großen Partikel mitnehmen kann; diese sammeln sich daher an der Oberfläche.
Was beim Müsli oder Studentenfutter schlimmstenfalls etwas lästig ist, hat zum Beispiel in der Geologie und der Landwirtschaft erhebliche Auswirkungen: Wo immer sich der Boden zeitweise wie eine Flüssigkeit verhält, können Steine aus der Tiefe an die Oberfläche gelangen.