Phantasma? Miasma? Ektoplasma? Oder was kringelt, steigt und wallt da?
Dieses Foto und die beiden folgenden Bilder hat meine Schwester im Büro aufgenommen. Es ist Wasserdampf, der von einem feuchten Handtuch aufsteigt, das auf der Heizung vorm Fenster liegt. Der Dampf formt flüchtige Gestalten - ist das eine Elefantengazelle, hier rechts? - und löst sich dann auf ...
Aber wieso können wir ihn überhaupt sehen und fotografieren, wo Wasser doch transparent ist? Diese Frage stellt sich auch für den dritten Aggregatzustand von Wasser: für Schnee und Reif, die wir als weiß wahrnehmen, und Eis, das durchsichtig ist - zumindest, wenn es keine Lufteinschlüsse enthält und seine Oberfläche glatt ist. Der SWR und die Max-Planck-Gesellschaft erklären das Phänomen.
Auf dieser Sitzbank in der Eifel, die uns gestern bei unserer Wanderung doch zu feucht war, um auf ihr zu verschnaufen, finden wir sowohl lichtdurchlässiges, gläsern wirkendes Eis als auch kleine Eiskristalle, deren viele Facetten das Licht in alle möglichen Richtungen streuen - ein Phänomen, das wir als "weiß" bezeichnen:
Auch gefrorene Pfützen weisen oft klare und weiße Flächen auf:
Warum, das hat der Physiker H. J. Schlichting 2015 in einem seiner Rätselfotos erläutert: Unter der Eisschicht bilden sich Hohlräume, weil das flüssige Wasser allmählich versickert. Schlägt sich der Wasserdampf in diesen Hohlräumen an der Unterseite der Eisschicht nieder und gefriert dort zu Reif, so verwandelt sich der optische Eindruck von Fensterglas zu Milchglas.
Dass feine Eiskristalle mit ihrer regelmäßig-unregelmäßigen Oberfläche Licht nicht einfach hindurchtreten lassen wie Fensterglas, sieht man auch an dieser Wartehäuschen-Scheibe, die ich gestern früh bei einem Zwischenhalt vor Beginn der Wanderung aufgenommen habe: Der rote Zug zum Beispiel ist wie ausgelöscht.
Diese Reifstrukturen machen ihrem Namen "Eisblumen" alle Ehre: "Blüten" sitzen auf "Stängeln", von denen "Fiederblättchen" abzweigen.
Auch auf der metallenen Rückwand des Wartehäuschens haben sich über Nacht Eiskristalle gebildet. Hier wird deutlich, dass die Kristallisation stets von einem sogenannten Keim ausgeht, von einer kleinen Verunreinigung oder Unebenheit - zum Beispiel einem Kratzer im Metall:
Durch das Zusammenspiel der wassertypischen Kristallisationsmuster einerseits (60-Grad-Winkel zwischen nadelförmigen Ausläufern) und der Oberfläche mit ihrer einzigartigen Anordnung von Kristallisationskeimen andererseits ergeben sich reizvolle Reif-Landschaften:
Reif entsteht vor allem in kalten, klaren Nächten wie jener vom letzten Samstag auf Sonntag. Dann strahlen Objekte in Bodennähe viel Wärme nach oben ab. Die abgekühlte Luft kann nicht mehr so viel Feuchtigkeit halten, das überschüssige Wasser lagert sich an die kalten Oberflächen an und kristallisiert dort aus - wie etwa auf den Grashalmen auf dieser überschwemmten Wiese.
Am stärksten ist die Eiskristallbildung an besonders exponierten Oberflächenregionen wie den Jahresring-Erhebungen auf diesem Baumstumpf:
Solche exponierten Stellen können zum einen in viele Richtungen Wärme abstrahlen und zum anderen Wassermoleküle aus vielen Richtungen empfangen. Dieser Prozess ist selbstverstärkend: Eine Eiskristallnadel ist an ihrer Spitze besonders exponiert und wächst daher dort stärker als an ihren Flanken - und zwar besonders dann, wenn sie ungefähr senkrecht auf der Oberfläche des Objekts steht, an dem sie sich gebildet hat. Daher betonen die Reifkristalle auf diesem alten Maiskolben vor allem die Stege zwischen den ehemaligen Maiskörnern:
Sogar recht frische Maulwurfshaufen waren gestern bereift, wobei wiederum die kleinen "Hügelkuppen" stärker besetzt waren als die "Täler" zwischen ihnen:
Auch dieser Handschuh, der die "Pommesgabel" der Metalheads zu formen scheint, ist mit Eiskristallen überzogen, die die Gewebsstruktur und die Kanten betonen:
Dieser Kanten-Effekt macht den Anblick von Blättern besonders reizvoll:
Nicht nur lebendes Grün, sondern auch altes Herbstlaub ist ungleichmäßig bereift: Der Rand und die konvexe Unterseite tragen mehr und längere Kristalle als die konkave Oberseite, denn bei konkaven Flächen wird ein Teil der abgestrahlten Wärme von anderen Stellen derselben Oberfläche reflektiert, sodass nicht so viel Wärme abgeführt wird wie von konvexen Flächen:
Zudem mag die Wachsschicht oder Cuticula, die auf der Oberseite vieler Blätter dicker ist als auf der Unterseite, die Keimbildung behindern.
Besonders zarte und schöne Kristalle haben sich auf dem Blütenstand dieser Kohlpflanze gebildet. Es sind hexagonale Prismen, also Säulen mit sechseckigem Querschnitt, wie man besonders unten rechts erkennt:
Zum Abschluss komme ich noch einmal auf die Farbe Weiß zurück, die - anders als "bunte" Farben - nicht durch ein besonderes Pigment entsteht, sondern durch eine Struktur, die das einfallende Licht in alle möglichen Richtungen streut. Dies gilt nicht nur für das sichtbare Licht, sondern auch für andere elektromagnetische Strahlung. Die entgegengesetzte "Farbe" Schwarz zeichnet sich dagegen durch eine starke Absorption der einfallenden Strahlung aus; sie "schluckt" Licht und Wärme. Auf der Website "Fernerkundung in Schulen" kann man dieses Prinzip interaktiv ergründen und lernt dabei etwas über die sogenannte Albedo oder Reflexionsstrahlung verschiedener Oberflächen. Da weiße Flächen kaum Strahlen absorbieren, erwärmen sie sich im Sonnenlicht langsamer als dunklere Flächen. Und so kommt es, dass dieses Gänseblümchen noch mit Reif bedeckt ist, während die Eiskristalle von den dunkleren Grashalmen ringsum bereits abgetaut sind:
Die Eifel-Wanderung war übrigens durchaus schweißtreibend. Aufmerksame Beobachter hätten über mir vermutlich eine ansehnliche Wasserdampfwolke wahrnehmen können - denn nicht nur Reifkristalle, sondern auch kleine Wassertröpfchen streuen das Licht in alle Richtungen und erzeugen so den Sinneseindruck "weiß". Ob dieser Dampf ebenso schöne Spiralmuster und Fabelwesen gebildet hat wie der im Büro meiner Schwester, sei dahingestellt.