Haben wir uns eine Raumsonde zugelegt, die sensationelle Bilder zur Erde funkt?
Nein, wir machen NASA und ESA keine Konkurrenz. Dass es nicht ums All, sondern um etwas sehr Kleines geht, liegt auf der Hand. Aber wer nicht zufällig Ende November einen Artikel über diese Muster gelesen hat, wird das Rätsel vermutlich nicht lösen können. Hier ein weiteres Bild der Serie, die in den letzten Tagen entstanden ist:
Und noch einmal ein vollständiges Objekt anstelle eines Ausschnitts - mit einem kräftigen Schuss Farb- und Kontrastverstärkung, wie in der gesamten Fotoserie:
Dieses Muster des Monats hat mir einige Kopfschmerzen bereitet, und zwar im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Der Grund für die echten Kopfschmerzen - und zugleich die Basis der Fotoserie - waren vier schottische Single Malts. Vom Highland Park, der auf Orkney Mainland hergestellt wird, waren nur noch ein paar Tropfen übrig:
Ende November berichtete das Wissensmagazin Scinexx von den Mustern, die beim Verdunsten von Whisky-Resten entstehen. Der Fotograf Ernie Button und ein Physiker-Team um Hyoungsoo Kim haben diese Verdunstungsmuster dokumentiert und untersucht. Und ich habe einige Objektträger aus Studienzeiten ausgegraben und jeweils zwei Tropfen Whisky darauf getropft. (Die dabei unweigerlich anfallenden Reste im kleinen Glas konnte ich natürlich nicht weggießen ...) Hier die eine Hälfte des Versuchsaufbaus, nämlich die Oban-, Highland-Park-, Glenfiddich- und Talisker-Proben, die rasch auf der Heizung eingetrocknet sind:
Die zweite Hälfte des Aufbaus sah ähnlich aus, durfte aber bei Zimmertemperatur in einiger Entfernung von der Heizung langsamer verdunsten. Am nächsten Morgen sahen die acht Objektträger ungefähr so aus. Neben dem Konsum der Probenreste bereitete mir auch die Schwierigkeit Kopfzerbrechen, diese zarten Muster überhaupt so abzulichten, dass man irgendetwas erkennt:
Die folgenden Fotos stammen - genau wie die ersten drei - von Roland Dieterich, der eine gute Systemkamera hat und gerne mit Belichtung und Beleuchtung experimentiert. Hier zunächst der Glenfiddich, schnell über der Heizung verdunstet:
Langsame Glenfiddich-Verdunstung bei Raumtemperatur ergibt ein völlig anderes Bild. Gleich bleiben nur der gelbliche, zerrissene Film am ehemaligen Tropfenrand und die hohe Staubdichte, die aber für unsere gesamte Wohnung typisch ist:
Es folgen drei Fotos der Highland-Park-Neige - zunächst ein kompletter Tropfenrest von der Heizungsprobe:
Hier ein Detail aus der Mitte des zweiten Heizungsprobentropfens, ebenso wolkig-blumig:
Bei Zimmertemperatur hinterlässt der Highland Park längst nicht so ein dynamisches Bild:
Der Oban-Rest von der Heizung erinnert an einen Baumstamm-Querschnitt mit Jahresringen und radiären Markstrahlen:
Bei Zimmertemperatur hinterlässt der Oban dagegen etwas, das mich an eine polierte Achatscheibe denken lässt:
Kommen wir zu dem Whisky, der das Ratebild geliefert hat: Talisker. Zunächst ein Ausschnitt der Heizungsprobe, wie im zweiten Bild oben:
Den krönenden Abschluss bildet eine weitere Weltraum-Fantasie aus dem zweiten bei Zimmertemperatur getrockneten Talisker-Tropfen:
Ein klares Schema ergibt sich aus diesen wenigen Proben nicht; zum Beispiel hängt die Streifendichte nicht einfach vom Alkoholgehalt des Whiskys ab (40% beim Glenfiddich und beim Highland Park, 43% beim Oban, 45,8% beim Talisker). Ich habe den Trocknungsprozess auch nicht unter der Lupe oder dem Mikroskop beobachtet und muss mich daher auf die Erklärung der Physiker um Hyoungsoo Kim verlassen. Demnach kommt es bei Tropfen aus einem Alkohol-Wasser-Gemisch zur sogenannten Marangoni-Konvektion. Das Ethanol verschwindet wegen seiner niedrigeren Verdunstungstemperatur schneller als das Wasser. Die im Whisky enthaltenen Mineralstoffe und sonstigen Substanzen lagern sich auf unterschiedliche Weise ab und sorgen für die sortenspezifischen Muster und Farbschattierungen.
Whisky ist übrigens wirklich ein besonderer Saft. Kölner Leitungswasser verdunstet natürlich auch. Aber zurück bleibt danach nur eine Menge Kalk: