Nein, kein Fossil, auch keine Zahnleiste - sondern eine weitere Erscheinungsform einer Substanz, die wir bereits in vier "Mustern des Monats" vorgestellt haben.
Es ist Sinter - genau wie der Bunkerwand-Blätterteig im Jahr 2009, die grünen Rinnen im Wald von 2014, der Eifelmarmor 2015 und die Ringwälle um den Geysir 2020. Nachdem ich im vergangenen Monat mit den kraterartigen Dolinen bereits eine typische Karst-Erscheinung vorgestellt habe, kehren wir jetzt noch einmal in den slowenischen Karst zurück, denn der dort übliche Kalkstein und seine Lösungsprodukte sorgen für eine Vielzahl beeindruckender Landschaften und Strukturen.
Bleiben wir zunächst über der Erde. Bäche und Flüsse graben tiefe Schluchten in das Gestein wie hier in Rakov Škocjan:
Oder das Dach eines riesigen Hohlraums, in dem ein Fluss unterirdisch strömte, stürzt irgendwann ein und legt so mächtige Steilwände frei wie hier an den Höhlen von Škocjan (trotz des ähnlichen Namens gut 30 Kilometer von der Schlucht entfernt und von einem anderen Fließgewässer geformt). Die Wand passte nicht auf ein Bild, sodass ich zwei Fotos etwas krude zusammenmontieren musste. Die rot umkreiste Person auf dem in den Fels geschlagenen Pfad verdeutlicht, wie gewaltig das Ganze ist:
In vielen dieser Wände klaffen große Öffnungen, wo Flüsse sich einen Weg durch das Gestein gebahnt haben:
Berühmt sind die beiden Felsentore von Rakov Škocjan; die sogenannte große Brücke ...
... und die kleine Brücke:
Manchmal läuft man durch einen von der Natur geformten Tunnel, und plötzlich tut sich an der Decke ein Loch auf:
Das Wasser fräst sich mit der Zeit immer tiefer ins Gestein und formt dabei Wannen oder Rinnen wie hier:
Dabei ist Kalkstein nicht einmal besonders weich, sonst wäre er nicht so beliebt beim Häuserbau oder für langlebige Reliefs, wie ich sie vor einem Monat gezeigt habe. Aber er löst sich leicht, wenn das Wasser sauer ist, also zum Beispiel Kohlensäure mit sich führt, weil es Kohlendioxid aus der Luft aufgenommen hat. Die Säure reagiert mit Calciumcarbonat (also Kalk) zu Calciumhydrogencarbonat, das wiederum gut wasserlöslich ist.
Oft sieht man auf alten Kalksteinen, die schon sehr lange an der Oberfläche liegen, sogenannte Karren: Rinnen, die zurückbleiben, wenn der Regen das Calciumhydrogencarbonat erst erschafft und dann abtransportiert.
Irgendwo muss das Calciumhydrogencarbonat dann hin. Nicht alles landet im Meer; oft lagert es sich ab, sobald die chemischen und physikalischen Bedingungen es zulassen. Hier hat sich zum Beispiel grünweiß glänzender Sinter unterhalb eines kleinen Lochs an einem Höhleneingang abgelagert. Der Grünschimmer kann entweder von Algen stammen oder von einer Kupferverbindung:
Und damit tauchen wir ein in die inneren Organe des Karsts: die Höhlen. Auch Tropfsteine sind Sinter. Ihre Form hängt stark von den örtlichen Bedingungen ab. An diesem Ausgang einer großen Höhle beeinflusst zum Beispiel der Wind das Wachstum der Stalaktiten, die daher unregelmäßig geformt sind und fast wie Stofffetzen wirken, die im Luftzug flattern:
Viel schlanke Stalaktiten sind hohl, da sich der gelöste Kalk zumeist am Rande des einzelnen Wassertropfens niederschlägt, der an der Spitze hängt. Hier habe ich in die Decke einer kleinen Höhle fotografiert, mit Blitzlicht. Man erkennt unten links im Bild eine Höhlenschrecke (das sind Heuschrecken mit sehr langen Fühlern, die ihr ganzes Leben träge an einer Höhlendecke verbringen), dann einen Wassertropfen, der das Blitzlicht einfängt, und schließlich mehrere hohle Sinterröhrchen:
Einige Meter weiter hing nicht nur eine Schnecke an der Decke, sondern auch eine Art Alien-Geschlechtsorgan mit perfekt modellierten Sinter-Adern:
Wieder einige Meter weiter, in der Nähe des Höhleneingangs, hatten sich an der Decke sogenannte Sinterfahnen gebildet, die im Blitzlicht wie feuchtes Leder wirken:
Wo von einem Stalaktiten kalkhaltiges Wasser zu Boden tropft, bildet sich dort ein Gegenstück: ein Stalagmit - hier eine hellgraue Stele auf einem vom Eisenoxid rot gefärbten Sockel:
Neben dem strahlend weißen oder hellgrauen Kalkstein und dem roten Eisenoxid gibt es oft auch dunkelbraune oder dunkelgraue Strukturen, die von Manganoxiden eingefärbt wurden.
Überhaupt sind die Höhlenwände im Blitzlicht erstaunlich bunt. Hier kommen noch grünliche Flächen hinzu, da ein Loch in der Höhlendecke genug Licht für einen Algenbewuchs hineinlässt:
Ab und zu lagert sich Sinter nicht kompakt ab, sondern bildet fluffig-wolkige Strukturen, die sogenannte Mondmilch. Hier sieht man solche porösen Wölkchen - und daran aufgehängt einen Kokon der Großen Höhlenspinne, der mit silbrigen Tautropfen benetzt ist:
Kehren wir zum Abschluss ans Tageslicht zurück. Wo ein Karstbach aus dem Boden quillt, kann er zauberhaft türkisblau gefärbt sein, weil die im Wasser schwebenden winzigen Kalkteilchen das Licht streuen. Diese sogenannte Rayleigh-Streuung färbt auch den Himmel blau. Diese Stelle im Naturreservat Rakov Škocjan erinnert mich an den Blautopf in Blaubeuren, eine Karstquelle in Baden-Württemberg:
So sorgt der Zahn der Zeit, der als Kohlensäure am Kalkstein nagt, für eine Vielzahl von Mustern, Strukturen und Farbeindrücken. Ob das Thema Sinter damit abschließend behandelt ist? Ich bleibe vorsichtig: Womöglich begegnet er uns in den kommenden Jahren noch hier und da in neuer Gestalt.